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Von Laura Roth
Die medizinische Forschung steht an einem Punkt in der Geschichte der Menschheit, an der für einst unheilbare Erkrankungen Behandlungsoptionen bestehen. Die Basis des wissenschaftlichen Fortschritts sind Informationen in Form von Daten, die durch randomisierte kontrollierte Studien oder aber direkt aus dem medizinischen Alltag gewonnen werden können. Gerade Gesundheitsdaten aus dem realen Versorgungsgeschehen – sogenannte Real World Daten – sind elementar, um Behandlungsmethoden unter Berücksichtigung von Alltagsbedingungen zu entwickeln. Realdaten sind zum Beispiel in elektronischen Patient:innenakten und Routinedaten der Krankenversicherung enthalten. Auch spezielle Produkt- und Krankheitsregister oder mobile Anwendungen (Apps) erzeugen Real World Data. Die Potenziale sind groß, doch es stellen sich auch Fragen wie mit den Unmengen an Daten umgegangen werden soll. Forschung und klinische Anwendung verschwimmen, und Schnittstellen zwischen Diagnostik, Pharmazie, Biotechnologie und IT werden wichtiger denn je. Der medizinwissenschaftliche Prozess schreitet in einem solchen Tempo voran, dass langatmige regulatorische Prozesse kaum Schritt halten können. Patient:innen sind zudem verunsichert, was mit ihren Daten geschieht, wenn sie sie der Forschung zur Verfügung stellen. Sie haben Angst vor dem Szenario „gläserner Patient:innen“. Daher lohnt es sich, einen Blick auf die Nutzung von Patient:innendaten für die klinische Forschung und personalisierte Behandlung zu werfen und dabei den Patient:innenblickwinkel zu berücksichtigen.
Die Potenziale für die Behandlung, Wissenschaft und öffentliche Gesundheit sind groß
Personalisierte Medizin beruht in hohem Maße auf den Möglichkeiten der modernen Diagnostik, einschließlich Gendiagnostik, und profitiert von Künstlicher Intelligenz (KI) und Big-Data-Analysen. So kann beispielsweise im Rahmen einer Krebsbehandlung das molekularbiologische Tumorprofil einer oder eines Erkrankten mit unzähligen Proben anderer Patient:innen – womöglich auch aus dem realen Versorgungsgeschehen – abgeglichen werden, um Muster, neue Assoziationen und Hypothesen zu erkennen. Daraus können die behandelnden Ärtz:innen Rückschlüsse für die passende Behandlung ziehen.
Durch die Vielfalt an einbezogenen Patient:innendaten lassen sich Krankheiten zielgerichteter und maßgeschneidert, das heißt unter Einbeziehung individueller Gegebenheiten, auch über die funktionale Krankheitsdiagnose hinaus, behandeln. Nebenwirkungen werden minimiert und Therapieerfolge gesteigert. Für Patient:innen bedeutet das die Chance auf eine verbesserte Lebensqualität oder das Überleben, für die Forschung einen wertvollen Erkenntnisgewinn und für das Gesundheitssystem mehr Effizienz bei begrenzten Ressourcen.
Der Umgang mit sensiblen Daten in Deutschland ist umstritten
Grundsätzlich können die Unmengen an Daten, die für diese Prozesse nötig sind, nur unter Einwilligung der Patient:innen erhoben werden. Der Umgang mit sensiblen Gesundheitsdaten, die zum Beispiel Rückschlüsse auf das genetische Profil zulassen, ist allerdings gerade in Deutschland umstritten. Breite Teile der Bevölkerung haben Angst vor Datenmissbrauch, fürchten sich vor dem Eingriff in ihre Privatsphäre oder vor etwaigen Nachteilen in den Versicherungspaketen der Krankenkassen. Aber diese Angst kann auch hemmen. So sieht die an Brustkrebs erkrankte Journalistin Eva Schumacher-Wulf das Teilen ihrer Daten aus einem ganz anderen Blickwinkel, wie sie auf einer Online-Veranstaltung zum Thema „Patientendaten im Gesundheitswesen“ erklärt. Datenschutz sei etwas für Gesunde, denn gerade Patienten mit einer seltenen, oder gar lebensbedrohlichen Krankheit seien bereit, in der Hoffnung auf medizinischen Fortschritt aus der Verwendung ihrer Daten, ihre Daten zu teilen. Sie vertraue den Systemen und Strukturen des deutschen Gesundheitssystems. Prof. Dr. Eva Winkler ergänzt auf der Veranstaltung, dass neben dem Vertrauen natürlich auch das rechtliche und juristische Gerüst um die Datennutzung so angepasst werde, dass es den Compliance Anforderungen gerecht wird – à la „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“.
Aufklärung, Information und Vertrauen müssen flächendeckend gestärkt werden
Um die Potentiale von Real World Daten für die Medizin zu entfesseln, ist es wichtig in der Bevölkerung Vertrauen zu schaffen, aufzuklären und interdisziplinäre Prozesse so transparent wie möglich zu gestalten. Fest steht, dass die Komplexität der Fragen nur unter Einbezug unterschiedlicher und diverser Perspektiven angegangen werden kann. Es sind Fragen, die gestellt und debattiert werden müssen. Denn für unzählige Betroffene wie Eva Schumacher-Wulf hängt das Leben davon ab.
Weiterführende Beiträge:
Hier finden Sie das Onlineevent von Roche zur Virtuellen Podiumsdiskussion: „Digitalisierung in der Medizin – Was die Daten uns verraten“ vom 27. April: https://www.roche.de/aktuelles/news/virtuelle-podiumsdiskussion-digitalisierung-in-der-medizin-was-die-daten-uns-verraten/.
Einen interessanten Beitrag zum Thema finden Sie im Econo-Magazin (Ausgabe 03/2021) unter dem Link: https://www2-mannheimer-morgen.morgenweb.de/anzeigen/beilagen/20210716_econo/index.html#page_1 S. 9ff.