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Von Elke Matuschek
Neulich stolperte ich irgendwo in den Medien über einen dieser neuen Gesundheitstrends: das „Waldbaden“. Gemeint ist, in den Wald einzutauchen und mit allen Sinnen zu erspüren, um Geist und Körper damit etwas Gutes zu tun.
Ich finde den Begriff „Waldbaden“ etwas unglücklich gewählt. Der japanische Begriff für Waldbaden „Shinrin-yoku“ hört sich da schon besser an, auch wenn er exakt dasselbe bedeutet. Das japanischen Ministerium für Landwirtschaft, Wald und Fischerei prägte ihn 1982 – mit der Idee, das Waldbaden als festen Bestandteil der Gesundheitsvorsorge zu etablieren. Anfang der 2000er Jahre wurde in Japan ein eigener Wissenschaftszweig „Waldmedizin“ eingerichtet, um die gesundheitsförderlichen Effekte des Waldes in einem evidenzbasierten (d. h. auf wissenschaftlichen Fakten beruhenden) Ansatz zu belegen.
Dass die Idee aus Japan kommt, ist nicht verwunderlich: Zwei Drittel des Inselstaates sind mit Bäumen bedeckt. Dazwischen den Wäldern leben fast 80 Prozent der Menschen dicht auf dicht in Städten, die meisten opfern sich auf für ihren Beruf. Viele sind den Anforderungen ihrer Arbeitswelt physisch und mental nicht gewachsen. Japan ist seit den 1980ern bekannt für Karoshi, den „Tod durch Überarbeitung“.[1] Schlüssig also, dass das Land Forschung und Wissenschaft rund um die vorbeugenden und heilenden Effekte des Waldes vorantreibt. Heute ist die Waldtherapie dort als forschungsbasierte Heilpraktik für die physische und mentale Gesundheit etabliert.[2],[3]
Waldbaden ist nachweislich gesund
Folgende gesundheitlichen Effekte werden Waldtherapie auf der Basis wissenschaftlicher Untersuchungen zugeschrieben:[4]
- Reduziert Stresshormone
- Löst Anspannungen und hebt die Stimmung
- Erhöht die Aktivität des Parasympathikusnervs, unterdrückt die Aktivität des Sympathikusnervs*
- Verringert die Kontraktionsphase des Herzens, den diastolischen Blutdruck und die Pulsfrequenz
- Stärkt das Immunsystem durch eine Erhöhung der Anzahl der natürlichen Killerzellen (NK) des Körpers und erhöht die Produktion von „Anti-Krebs-Proteinen“
- Lindert Stresssituationen wie Anspannung, Depression, Wut, Müdigkeit und Verwirrung
- Verbessert die Vitalität und die Lebensenergie
- Verbessert subjektiv empfundene Symptome von körperlichen Schmerzen
- Verbessert die körperliche Kondition durch Bewegung und Rehabilitation
Ich bin beeindruckt, werde fast ein bisschen skeptisch: „…erhöht die Anzahl von Anti-Krebs-Proteinen? Das will ich genauer wissen.
Sogar krebspräventive Effekte?
Ich lese von dem bekanntesten japanischen Forschers zur Heilkraft des Waldes, dem Immunologie Professor Qing Li** von der Nippon Medical School. Er fand in einer Studie mit zwölf männlichen Teilnehmern, Berufstätige im Alter von 37 bis 55 Jahren, heraus, dass Waldumgebungen sich direkt auf das Immunsystem auswirken. Li konnte in seiner Untersuchung zeigen, dass ein dreitägiger Waldaufenthalt die Aktivität und den Anteil natürlicher Killerzellen (NK-Zellen) erhöht. Darüber hinaus steigert er die intrazellulären Konzentration bestimmter Proteine, die als krebshemmend gelten. Vermittelt werden die positiven Effekte vermutlich teilweise über Terpene und andere so genannte Phytonzide, das sind bestimmte pflanzliche Botenstoffe, die häufig antimikrobiell wirken. Die Bäume geben sie ab, um sich beispielsweise gegen Fressfeinde zu wehren. Li schließt aus seinen Forschungsergebnissen, dass Waldbaden einen präventiven Effekt auf die Krebsentwicklung haben könnte.[5]
Ein Trend, der sich in Deutschland fortsetzt
Die Ergebnisse sind vorsichtig zu interpretieren. Weitere Forschung ist wichtig, um die bisherigen Daten zu untermauern. Doch auch in Deutschland wird die gesundheitsfördernde Kraft des Waldes zunehmend anerkannt und eingesetzt. 2013 beauftragte das Land Mecklenburg-Vorpommern die Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) in München damit, herauszufinden, ob es die heimischen Wälder für gesundheitspräventive Zwecke nutzen könne. Prof. Dr. Dr. Angela Schuh vom Lehrstuhl „Public Health und Versorgungsforschung“ der LMU widmete sich der Aufgabenstellung mit einer umfassenden wissenschaftlichen Literaturrecherche und ‑analyse. Ihr Fazit: Ein Aufenthalt im Wald hat nachgewiesenermaßen Erholungseffekte: Die Schlafqualität verbessert sich, Stress wird reduziert, die Aufmerksamkeit erhöht und Gefühle werden positiv beeinflusst. Außerdem gibt es Hinweise zu positiven Einflüssen auf das Immunsystem. Schuh kommt zu dem Schluss, dass die natürliche Ressource Wald in Mecklenburg-Vorpommern ein zukunftsweisendes Projekt darstellt und sich die Wälder als Kur- und Heilwälder zur allgemeinen Prävention hervorragend eignen.[6]
Seit 2017 gibt es in Mecklenburg-Vorpommern den ersten gesetzlichen Kur- und Heilwald. Er befindet sich im Ostseebad Heringsdorf auf der Insel Usedom und soll bei Erkrankungen der Atemwege, der Haut und des Bewegungsapparates, bei psychosomatischen Erkrankungen wie Burnout, bei Schlaflosigkeit oder Depressionen und bei Erschöpfungszuständen helfen sowie das Herz-Kreislaufsystem stärken.[7]
Ich gehe Waldbaden
Das Thema lässt mich nicht mehr los. Ich bin sehr mit dem Wald verbunden. Mein Elternhaus liegt direkt am Rande des Pfälzer Waldes. Ich habe als Kind unzählige Stunden damit verbracht, auf Bäume zu klettern, Baumhäuser zu bauen, Verstecken zu spielen, Blumensträuße zu binden und Pilze zu sammeln. Und manchmal habe ich einfach nur glücklich da gesessen und nichts gemacht. Ich habe damals schon im Wald gebadet – natürlich ohne das als Gesundheitsförderungsmaßnahme wahrzunehmen. Dass es gut tut, habe ich aber damals schon gemerkt.
Dass Menschen grüne Naturräume ganz instinktiv aufsuchen, wird auch als „Biophilie“ bezeichnet: die Liebe zum Lebenden. Sie ist nach Auffassung seiner Begründer Erich Fromm und Edward O. Wilson angeboren, also genetisch in uns verankert. Im Laufe unseres Lebens wird sie durch Erfahrungen und Umweltfaktoren weiter geprägt.[8]
Auch heute wohne ich am Waldrand. Ich gehe regelmäßig im Odenwald oder in meiner alten Heimat, dem Pfälzer Wald, spazieren. Ich jogge, walke, laufe mit dem Hund – oder sitze – wie schon als Kind – einfach nur da, schaue auf die Bäume und bin entspannt. Ich bin Biologin, habe selbst ein paar Jahre in der Forschung gearbeitet und bin in der Gesundheitskommunikation tätig. Im Wald kommen mir die besten Ideen. Kreative Headlines, gute Konzepte… nach kurzer Zeit im Wald bin ich frei für gute Gedanken.
Der Wald tut mir gut. So viel steht fest. Und ich habe mich umgehört. So wie mir geht es den meisten meiner Bekannten. Ich will es noch genauer wissen. Heute, am 21. Juni 2022, dem Aktionstag „Deutschland geht Waldbaden“, gehe ich zum Waldbaden. Zum ersten Mal ganz offiziell unter Anleitung einer Waldbademeisterin. Ich habe keine Ahnung was da auf mich zu kommt und bin gespannt was die dreistündige Waldauszeit mit mir macht. Fortsetzung folgt. Ganz entspannt. Nach dem Waldbaden.
[1] Rubel K. Waldbaden oder wie viel Vitamin „W“ braucht der Mensch? https://handmade-books.de/waldbaden/.
[2] Park BJ et al. The physiological effects of Shinrin-yoku (taking in the forestatmosphere or forest bathing): evidence from field experiments in 24 forests across Japan Environ Health Prev Med (2010) 15:18–26
[3] Gallis C und Shin WS. Forests for Public Health. Online verfügbar unter: https://www.cambridgescholars.com/resources/pdfs/978–1‑5275–5029-2-sample.pdf . Zugriff am 21.06.2022.
[4] Japanese Forest Society. Online verfügbar unter: https://www.fo-society.jp/en/index.html Zugriff am 21.06.2022.
[5] Li Q. Effect of forest bathing trips on human immune functionEnviron Health Prev Med (2010) 15:9–17
[6] Schuh A und Immich G. Kur- und Heilwald in Mecklenburg-Vorpommern: Evaluation, zusammenfassender Bericht und wissenschaftliche Expertise. 2013. Online verfügbar unter. https://ihrs-en.ibe.med.uni-muenchen.de/health-resorts/forest-therapy/review-waldtherapie-final.pdf. Zugriff am 21.06.2022.
[7] https://www.heilwald-heringsdorf.de/
[8] Barbiero G und Berto R. Biophilia as Evolutionary Adaptation: An Onto- and Phylogenetic Framework or Biophilic Design. Biophilia as Evolutionary Adaptation: An Onto- and Phylogenetic Framework for Biophilic Design. Front. Psychol. 12:700709.