System Reset – ein Blick auf die Zeit nach Corona

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Von Laura Roth

Das Ende 2019 neu auf­ge­tre­tene Virus SARS-CoV‑2 hält die Welt seit quälend langen Monaten in seinem Bann. Wir befinden uns in einem Zwi­schen­zu­stand – par­al­le­li­siert und um Pri­vi­le­gien beraubt: Unser Alltag besteht vor­wie­gend digital weiter. Men­schen­an­samm­lun­gen, Kul­tur­ver­an­stal­tun­gen und der Abend im Lieb­lings­re­stau­rant gehören der Ver­gan­gen­heit an. Dass wir die Krise als welt­wei­tes Phänomen erleben, verbindet uns unbewusst mit­ein­an­der und führt uns die globale Dimension unserer Existenz vor Augen.

Wie wird sich die Pandemie auf unsere Lebens­wel­ten, unsere Wirt­schaft und sozialen Inter­ak­tio­nen auswirken? Der Zukunfts­for­scher Matthias Horx ist sich sicher: „Krisen beenden Exzesse und erzwingen Inno­va­tio­nen, die vorher im Latenten stecken geblieben waren. Sie lösen fest­ge­fräste Denk­mus­ter auf und zerstören das Überkommene“.

Wir stellen uns die Sinnfrage

Exzesse in unserer Form des Wirt­schaf­tens, des Zusam­men­le­bens und Mit­ein­an­ders sowie der breiten Akzeptanz gegenüber zuneh­men­den Unge­rech­tig­kei­ten, zeichnen sich bereits seit Jahr­zehn­ten ab. Narrative wurden erschaf­fen, um  Hand­lun­gen und Vorgänge zu begründen, welche die Sta­tus­pri­vi­le­gien Einzelner gegen die Bedürf­nisse Anderer antreten lassen. Die aktuelle Wirt­schafts­po­li­tik hält diese Hier­ar­chie erfolg­reich aufrecht.

Hart von der Pandemie getrof­fene Branchen – Fleisch­pro­duk­tion, Kreuz­fahrt­schiffe, Autos, die mit fossilen Brenn­stof­fen fahren und exzes­si­ver Flug­ver­kehr müssen sich der Frage der Daseins­be­rech­ti­gung stellen. Die Sinnfrage nach dem Zweck des Wirt­schaf­tens wird immer öfter auf­ge­wor­fen. Die durch Corona aus­ge­löste weltweite Krise bietet die Chance für ein Umdenken und stellt alte Para­dig­men von Konsum und Wachstum in Frage. Geht es um immer mehr Profit oder doch um bessere, sozial und öko­lo­gisch vor­teil­haf­tere Lösungen für alle Anspruchsgruppen?

Corona hat unser Ver­hält­nis zuein­an­der, aber auch zu unserer Umgebung verändert. Die Natur­ver­bun­den­heit ist erstarkt. Das Interesse an der Schönheit unserer Umwelt ist gestiegen. Wir streichen ober­fläch­li­che Bezie­hun­gen aus unserem Leben und ent­le­di­gen uns emo­tio­na­lem Ballast – wir hin­ter­fra­gen Dinge, für die wir in unserer schnell­le­bi­gen und indi­vi­dua­lis­ti­schen Leis­tungs­ge­sell­schaft keine Zeit gefunden haben. Wir prüfen, was uns wirklich bindet, was uns dient und was wir für ein erfülltes Leben benötigen. Die Pandemie erinnert uns auch daran, wer wichtig ist – für uns per­sön­lich und für unsere Gesell­schaft. Gesundheits- und Pfle­ge­fach­kräfte, Lehrende, Mit­ar­bei­tende des Per­so­nen­trans­ports und viele weitere unter­schätzte und vielfach unter­be­zahlte Berufs­grup­pen. Applau­diert wurde viel. Gehandelt bisher wenig.

Die Krise zeigt Innovations- und Trans­for­ma­ti­ons­po­ten­tial auf

Die Pandemie darf nicht nur als Krise und Sicht­bar­ma­che­rin von Problemen ver­stan­den werden. Sie  kann ein Wen­de­punkt sein. Bewe­gun­gen auf der ganzen Welt fordern trans­for­ma­tive Maßnahmen.  Diese reichen von dem Wunsch nach neuen Arbeits­mo­del­len, der Gewähr­leis­tung einer uni­ver­sel­len Gesund­heits­ver­sor­gung bis hin zu pro­gres­si­ven Kli­ma­schutz­maß­nah­men. Die Digi­ta­li­sie­rung erhält Auf­schwung und mit der bren­nen­den Dring­lich­keit einer welt­wei­ten Pandemie, werden längst über­fäl­lige Struk­tu­ren geschaffen.

Wir müssen uns daran erinnern, dass das Alte und Fest­ge­fah­rene nicht unser Schicksal sein muss. Unsere Gegenwart wird irgend­wann Geschichte sein. An was wird man sich erinnern? Geleitet von der Frage, ob unsere bestehen­den Systeme den Menschen, dem Planeten und unserer gemein­sa­men Zukunft dienen, bietet die Corona-Pandemie ungeahnte Potentiale.

Eine Post-Corona Lebens­welt liegt in unserer Hand

Zukunft ist immer auch eine Frage der Wahr­neh­mung und nicht der Prognose. Wir benötigen Menschen, die die Krise kon­struk­tiv annehmen und den Blick­win­kel auf die soziale Situation her­aus­for­dern. Die Frage, ob es jemals so werden kann wie zuvor, ist über­flüs­sig. Bereits Heraklit sagte über den Wandel: „Man kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen, denn andere Wasser strömen nach“. Corona hat den Weg der Geschichte unum­kehr­bar beeinflusst.

Regie­run­gen und Gesell­schaf­ten auf der ganzen Welt haben ein kleines und schrump­fen­des Zeit­fens­ter, um nach COVID-19 eine wirt­schaft­lich gerech­tere, nach­hal­ti­gere und inno­va­ti­vere Welt zu schaffen. Eine, die gleich­be­rech­tig­ter und inte­gra­ti­ver ist, den Planeten schützt und nicht nur einer aus­ge­wähl­ten Per­so­nen­gruppe dient.

Epidemien haben in der Mensch­heits­ge­schichte immer wieder Moder­ni­sie­rungs­schübe ausgelöst. In Notlagen sind Indi­vi­duen und Gesell­schaf­ten gefordert, über sich hin­aus­zu­wach­sen. Es laufen viele Held:innen in dieser Welt herum. Die Hoffnung und der Glaube daran, dass diese Krise lang­fris­tig ein Umdenken in essen­zie­len Bereichen und letztlich eine stärkere, belast­bare und gerech­tere Gesell­schaft her­vor­brin­gen kann, liegt in unser aller Hand. Die Krise stellt ein Portal, ein Tor zwischen einer Welt und der nächsten, dar. Wir müssen durch dieses Tor durch­ge­hen und uns eine andere Welt vorstellen.

Der Blick auf die Situation erscheint aktuell pro­blem­ori­en­tiert und gar durch Resi­gna­tion gekenn­zeich­net.  Die Hoffnung besteht aber im Trans­for­ma­ti­ons­po­ten­tial der Krise. Es ist Zeit, eine posi­ti­vere Zukunft zu zeichnen und Visionen und Träume zuzu­las­sen. Was können wir erkennen und aus der Krise lernen? Jede und jeder Einzelne für sich und gemeinsam als soziale und globale Einheit. 

Quellen

1) Zukunfts­re­port 2021

2) Oxfam Inter­na­tio­nal